Kuppel Glasgow School of Arts

Freud_Mr Mac KopieLangsam wird es Zeit, an die Lektüre für die großen Ferien zu denken. Wie schön ist es doch, Bücher dafür in Zimmerecken zu stapeln, sie dann wieder auszusortieren und noch einmal zu stapeln, um später mit drei, vier oder fünf Exemplaren glücklich in die Sommerfrische abzudampfen. Esther Freuds neues Buch „Mein Jahr mit Mr Mac“ kann man eigentlich gleich in die Endauswahl legen. Es ist ein richtiger „Schmöker-Band“ für lange Nachmittage am Meer mit wunderbar gelungenen Personen- und Naturbeschreibungen, packend, poetisch, traurig und fröhlich – und nebenbei lernt man auch noch etwas. Ich zumindest kannte vor der Lektüre die Geschichte des britischen „Art-Nouveau“-Architekten Charles Rennie Mackintosh (1868-1928) nicht wirklich. Er ist der mysteriöse Mr. Mac aus dem Titel. Mackintosh entwarf zum Beispiel die heute noch berühmte Glasgow School of Arts (das Beitragsbild zeigt ein Fenster aus dem Gebäude). 

 

Messingtürschild der von Charles Mackintosh gestalteten Scotland Street School, Bild: cornfield/Shutterstock.

Messingtürschild der von Charles Mackintosh gestalteten Scotland Street School in Glasgow, Bild: cornfield/Shutterstock.

Esther Freud vermischt geschickt Realität und Fiktion. Der Roman baut auf einer Episode in Mackintoshs Leben auf – den  Monaten zwischen 1914 und 1915, die der Künstler mit seiner Frau Margaret im englischen Küstenort Walberswick verbrachte. Das Paar suchten im tiefsten Suffolk Ruhe und Erholung an der See, nachdem der damals als revolutionär geltende und hochumstrittene Mackintosh seine Arbeit in einem Architektenbüro in Glasgow verloren hatte. Hauptfigur (und Ich-Erzähler) des Romans ist jedoch nicht er, sondern der 12jährige Thomas Maggs, Sohn eines Pub-Betreibers und notorischen Trinkers. Thomas schlägt sich tapfer durch den Alltag zwischen den Schulstunden und dem Hilfs-Job bei einem Seiler, den Gewaltattacken des Vaters, dem Kummer der Mutter um ihre anderen früh verstorbenen Söhne und den Liebesgeschichten seiner Schwester Ann. Mit den Sommergästen Mr. und Mrs. Mac eröffnet sich ihm die Welt der Kunst und des Zeichnens. Tom freundet sich immer mehr mit dem seltsamen Paar an. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verändert allerdings die Welt von Walberswick radikal. Mac wird den Dorfbewohnern nach und nach suspekt.

 

Das Leben durch die Augen von Jugendlichen oder Kindern glaubhaft darstellen zu können ist eine Stärke von Esther Freud – mehrfach schon hat sie die Perspektive von Heranwachsenden in ihren Büchern gewählt.. „Mein Jahr mit Mr Mac“ (der englische Titel „Mr Mac and Me“ klingt deutlich besser) ist ihr achter Roman und wirklich sehr schön erzählt. Freud kann mit Wörtern förmlich malen (sie ist Tochter des Künstlers Lucian Freud, Psychoanalytiker Sigmund war ihr Urgroßvater). Nur die letzten Seiten sind ein bisschen schnell heruntergerasselt. Zum Glück gilt das jedoch nicht für den Schluss-Absatz. Der bietet dann doch einen würdigen Abschluss für dieses ideale Ferienbuch (Beitragsbild: © cornfield/Shutterstock.com).

Esther Freud, © Klaas Koppe.

Esther Freud, © Klaas Koppe.

 

Esther Freud: „Mein Jahr mit Mr Mac“, aus dem Englischen von Anke und Eberhard Kreutzer, Berlin Verlag 2016, € 22,00, ISBN 978-3-8270-1268-5.