Zugegeben. Ich habe ein bisschen gezögert, direkt nach dem Haute-Couture-Post schon wieder einen Beitrag über die Modewelt zu machen. Aber die Fashion-Szene echauffiert sich gerade heftig über ein Interview, das die Moderedakteurin Lucinda Chambers der kleinen, klugen Londoner Zeitschrift „Vestoj“ gegeben hat. Ihre Äußerungen sind so außergewöhnlich, dass ich sie für absolut berichtenswert halte.

Chambers war 25 Jahre lang Modechefin der britischen Vogue. Sie wurde gerade ziemlich plötzlich entlassen. Unter dem neuen Chefredakteur Edward Enninful scheint kein Platz mehr für sie zu sein. Chambers liest der Fashion-Welt nun derart die Leviten, dass das Gespräch schon zweimal von der Vestoj-Website genommen werden musste. Jetzt ist es aber zum Glück – leicht geändert – wieder drauf. Einige halten Chambers für eine Nestbeschmutzerin, ich finde sie mutig. Sie nimmt den Glorienschein von der glamourösen Modewelt, und das ist gerade in den bildgesteuerten Instagram-Zeiten echt mal nötig. Die Bilder von den Schauen wirken immer so glatt und wunderbar. Die Magazine gaukeln eine herrliche begehrenswerte Luxuswelt vor. Über die ganze Hysterie, die in Paris, Mailand oder New York herrscht, und den fast schon debil wirkenden Hunger nach Neuem und Ungewohnten wird selten gesprochen. Über die Angst vieler, morgen schon wieder „out“ zu sein, und die oft so unglücklich wirkenden Fashionistas. Es sei denn, man schaut sich Kino-Klamotten wie „Der Teufel trägt Prada“ an. Die kann man aber nicht so richtig ernst nehmen.

Chambers hingegen ist es bitter ernst. Sie erzählt zunächst, dass sie wirklich gefeuert wurde. Eigentlich macht man das in der Modeszene (wie auch an anderen Orten) nicht. Man erzählt, man habe sich entschlossen, eine Zeitschrift zu verlassen. Und wahrt das stilvoll unbewegte Gesicht. Doch Lucinda Chambers hat zu solchen Spielchen keine Lust mehr. Sie berichtet darüber, wie schnell einen die Mode verschlingen und wieder ausspucken kann. In welchem Tempo heute ein Designer kommerziellen Erfolg haben muss und, dass alle irgendwie von Angst gesteuert werden. Das Bild eines erfolgreichen wundervollen Lebens muss in der schönen neuen Modewelt um jeden Preis gewahrt werden. Wehe dem, der es ankratzt. Die nun Geschasste legt offen, dass Anzeigenkunden Vorrang vor geschmacklichen Entscheidungen haben (anhand des Beispiels eines eigenen misslungenen Shootings mit Alexa Chung in einem Michael Kors-Shirt). Sie spricht darüber, dass auch bei Stylisten deren persönliches Outfit entscheidender sein kann für das Weiterkommen als ihr Können. Und sie lobt die Marke Vêtements. Weil sie hier etwas wirklich Neues in der Mode aufkommen sieht. Ansonsten hält sie die Kleider und Schuhe, die Magazine wie die „Vogue“ zeigen, nicht wirklich für relevant. Hier wundert man sich ein wenig, warum sie dann so lange überhaupt dort gearbeitet hat. Am Ende spricht sie auch über ihre eigenen Ängste in der Modewelt. Dass es sie immer noch besorgt macht, ob sie zu den Schauen im September eingeladen wird. Und wo sie dann – ohne die allmächtige Vogue im Rücken – sitzen wird. Sie zeigt, wie verletzlich auch sie gegenüber der von ihr kritisierten Modewelt immer noch ist. Und das ist wirklich stark!

Interview mit Chambers auf der Vestoj-Website (sofern es nicht wieder heruntergenommen wird)