Vor, zwischen und nach Fashion Weeks und Haute-Couture-Schauen gelingt es mir nicht wirklich, Gelassenheit zu entwickeln: Zu schnell folgt ein Event auf das nächste. Wenn dann noch ein großer Text für ein deutsches Magazin fertig werden soll, geht das „serene“ aus dem „Serene Style“ manchmal ziemlich baden (deswegen gab es auch eine ganze Woche lang keinen Eintrag hier). Ein gutes Mittel dagegen ist abendliches Lesen. Aber bloß keine Zeitschriften, schon gar nicht über Mode – das mache ich in ruhigeren Zeiten. Gute Bücher funktionieren am besten, und ein besonders wunderbares Buch ist die „Bhagavad Gita“. Der in Versform verfasste „Gesang des Erhabenen“ gilt als eine der heiligsten Schriften der Hindus und ist Teil des zentralen Epos Indiens, dem „Mahabharata“. Mahatma Gandhi liebte die „Gita“ – sie birgt universelle spirituelle Weisheiten und ist zugleich (auch für „weltliche“ Leser) einfach ein sehr schönes Stück Literatur.

 

Detail from the Arjuna's Penance (or Descent of the Ganges) bas-relief in Mahabalipuram, India.

Detail aus dem Felsenrelief „Arjunas Buße“ im indischen Mahabalipuram (Bild: nstanev/fotolia).

Ausgangspunkt der Handlung ist wie in Homers „Ilias“ ein Krieg. Doch während das Geschehen der „Ilias“ sich am Zorn ihres Helden Achilles entzündet, baut das der „Bhagavad Gita“ auf der Verzweiflung ihres Helden Arjuna auf. Arjuna setzt sich an den Rand des Schlachtfelds und weint, soll er doch gegen seine eigene Verwandtschaft kämpfen. Die hält zwar zu Unrecht an einem uralten Thron fest, doch fällt es dem eigentlich tatkräftigen Arjuna schwer, seinen Bogen und seine Pfeile gegen sie zu richten. In dieser Situation ermutigt ihn sein Wagenlenker. Und das ist Krishna, der nach hinduistischem Glauben als Inkarnation des gütigen Gottes Vishnu immer wieder auf die Erde kommt, um Harmonie und Ordnung wiederherzustellen. Krishna unterweist Arjuna nun in allen folgenden Gesängen darin, zu seinem eigentlichen Selbst zu finden. Meditation, spirituelle Versenkung und selbstloses Handeln sollen ihm den Weg zum höchsten Sein, zu Gott, weisen. Krishna entfaltet vor Arjuna dabei ein philosophisches System, das letztlich die Frage nach dem Sinn seines Lebens beantwortet. Auch wenn es für uns heute ziemlich absurd scheint, dies ausgerechnet mit einem Aufruf zur Schlacht zu verbinden, plädiert die „Gita“ für Altruismus. Der Krieg wird traditionell auch als Kampf des Menschen gegen sich selbst gedeutet. Es ist absolut ratsam, die „Bhagavad Gita“ in einer guten, kommentierten Ausgabe zu lesen, um die sprachlichen Bilder zu verstehen. Ich benutze die Ausgabe des klugen Literaturwissenschaftlers und Meditationslehrers Eknath Easwaran (1910-1999). Er zieht verblüffende Parallelen zu christlichen Lehren, zitiert Meister Eckhart und die heilige Katharina von Genua und kristallisiert die Nächstenliebe als einen Grundgedanken der „Gita“ heraus: „Wenn ein Mensch auf die Freuden und Leiden anderer so reagiert, als ob sie seine eigenen wären hat er den höchsten Zustand spiritueller Vereinigung erreicht“ (Bhagavad Gita, 6:32), Beitragsbild: © imagedb.com/fotolia).

 

„Die Bhagavad Gita“, eingeleitet und übersetzt von Eknath Easwaran, Goldmann Verlag München 2012, Taschenbuchausgabe, 322 S., € 9,99, ISBN 978-3-442-22013-7